Er hat alles ausprobiert, was es an legalen und illegalen Drogen gibt: Schonungslos und offen berichtete Wolfgang Kiehl den 150 Schülern im Mehrzweckraum der Holderbergschule von seinem Lebensweg, der in der Heroinabhängigkeit endete. „In der Grundschule war die Welt noch in Ordnung: Nette Mitschüler, man war leise, hörte den Lehrern zu und lernte“, erinnert sich der 47Jährige. Doch dann folgte ein Umzug, die Familie zieht in ein anderes Viertel der Großstadt. Wolfgang Kiehl kommt in die 5. Klasse einer Hauptschule. „Da begann das Drama meiner Schulzeit“, berichtet der Ex-Junkie. Der Sohn möchte die Schule wechseln, er fühlt sich unwohl in der Klasse, in der jeder macht, was er will. Doch sein Vater ist dagegen. Da beschließt er, zum Klassenclown zu mutieren. „Von da an begann die Beziehungskrise mit meinem Vater, das war der erste Bruch“, ist sich Kiehl im Rückblick sicher. Seine Eltern werden oft zur Schulleitung zitiert, er beginnt schon im fünften Schuljahr mit dem Rauchen. „Damals habe ich angefangen, nicht mehr mit meinen Eltern über die Dinge zu reden, die mich beschäftigen“, erklärt er. Nach jahrelanger Therapie weiß er, dass das Reden über die Probleme, die Jugendliche beschäftigen, wichtig ist. Sein Appell an die Zuhörer war klar und eindringlich: „Lernt einfach, über das zu reden, was euch beschäftigt. Wenn ihr nicht mit euren Eltern reden könnt, dann geht zu Mitschülern oder Lehrern“. Die Holderbergschüler haben für diese Art des Redebedarfs sogar eine eigene Anlaufstelle: Das Team von Schule ohne Stress(SoS), die den Suchtberater vom Verein „Suchtmobil“ auch eingeladen hatte.
„Suchtmobil e.V“ ist die bundesweit erste mobile Suchtberatung, die Kindern, Jugendlichen, Freunden und Angehörigen Hilfe bei Suchtproblemen anbietet, aber auch an Schulen oder zu den Sportvereinen kommt, um Suchtprävention zu betreiben. Wolfgang Kiehl, ehemaliger Leistungssportler und Bundesligaspieler im Rugby, ist der Initiator von „Suchtmobil“.
Dem ehemaligen Drogenabhängigen geht es bei dem 90minütigen Vortrag und dem anschließenden Gesprächsaustausch mit den Schülern nicht darum, die Welt der Drogen interessant zu machen, sondern aus eigener Erfahrung zu berichten, wohin die Sucht führt.
In der achten Klasse erfolgt für Kiehl der Schulverweis, nachdem er mit einigen Kumpels die Fische des Hausmeisters vergiftete.
Sein Vater organisiert eine Lehre als Gas-und Wasserinstallateur für ihn. Auch wenn er dazu eigentlich keine Lust hat, beginnt er das Praktikum und die darauf folgende Lehre. Mit den Kollegen lernt er den Alkohol kennen. „Es gab immer einen Grund, um zu trinken. Geburtstage von Kollegen, vor Feiertagen, wenn jemand in den Urlaub ging oder wieder zurückkam und vor dem Wochenende“. Diskussionen über harte oder weiche Drogen führt er nicht - es gebe nur Drogen oder keine Drogen. „Alles andere könnt ihr knicken“, erklärte er seinen Standpunkt.
Jugendliche seien in einer Phase, in der sie vieles ausprobieren - auch einiges, was nicht gesund sei und Abhängigkeitspotential habe.
„ Ihr denkt, mit Alkohol ist man cooler drauf - was nicht in der Zeitung steht, sind die Begleiterscheinungen des Alkoholkonsums: Schläge und Gewalt in der Familie, 45.000 bis 50.000 Menschen sterben jährlich am missbräuchlichen Konsum, 120.000 am Tabakkonsum“.
Wie ernst es Wolfgang Kiehl mit seinen Warnungen war, spürte man an seinen Reaktionen auf die Heiterkeitsausbrüche bei den Jugendchen, die über seine Schilderungen lachten: „Bei mir wird nicht gelacht, wenn ich euch von Tod und Sterben erzähle“.
Alkoholisiert beginnt er mit den Kollegen Streit, später kommt es zum Zerwürfnis mit dem Vater. Er will ausziehen, sein Vater weigert sich. „Ich habe mich dann so beschissen benommen, dass mein Vater nach fünf Wochen die Schnauze voll hatte und mich rauswarf“. Die vermeintlich tolle Zeit in der eigenen Wohnung ist der Anfang vom Abstieg in die Drogensucht. Der 16 Jahre alte Kiehl gibt das Sport-Training auf, macht, was er will, kommt nach Hause, wann er will und trifft sich mit seiner neuen Clique, wo gekifft wird. „Irgendwann reicht das nicht mehr, man fängt an zu experimentieren mit Tabletten, mit Haschisch, Marihuana, Ecstasy, LSD, Speed und irgendwann reicht das nicht mehr. Dann probierst du Kokain“. Sehr schnell stellt sich Geldmangel ein, Wolfgang Kiehl wird zum Dealer. Irgendwann konsumiert er Heroin. „Ich war überzeugt, dass ich auch damit aufhören könnte“. Aber Heroin erzeugt eine schnelle körperliche und psychische Abhängigkeit. Sieben Jahre lang nimmt er Heroin, er wird kriminell, um sich den Tageskonsum zu finanzieren. „In den ersten zwei Jahren erkennst du einen Junkie nicht. Alle putzen sich die Zähne, duschen und ziehen sich vernünftig an“, weiß er aus Erfahrung. Niemand solle merken, was man tue Erst nach dieser Zeit bemerke das Umfeld den Verfall. Wolfgang Kiehl hat fünf Jahre Therapie gebraucht, bis er seine Sucht überwunden hat und wieder ein normales Leben führen konnte. Und er weiß, dass viele den Ausstieg aus der Sucht und den dauerhaften Verzicht der Drogen nicht schaffen. „Von 100 Junkies schaffen zwei bis drei die Therapie und bleiben clean“. Wolfgang Kiehl ist einer von ihnen.
Wolfgang Kiehl vom Verein „Suchtmobil“ kam zur Suchtprävention an die Holderbergschule
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Schuljahr 10/11
„Lernt einfach, über eure Dinge zu reden“