Für den Lehrerberuf entschied sich Wilhelm Dintelmann Mitte der 60er Jahre. Hintergrund war die Arbeit in der evangelischen Kirche und dem CVJM, wo er sich für junge Menschen in Zeltlagern und Jungschararbeit engagierte. „Das hat mir viel Freude bereitet“, sagt er rückblickend.
Vom Sommersemester 1968 bis November 1971 studierte er in Gießen die Fächer evangelische Religion, Sozialkunde und als Didaktikfach Mathematik.
„Das Referendariat gab es in dieser Form noch nicht. Ich begann im Januar 1972 nach den Weihnachtsferien als APL (Außerplanmäßiger)-Lehrer in Oberscheld. Frisch von der Uni übernahm ich mit einer Festeinstellung eine fünfte Hauptschulklasse mit 24 Stunden. Ich habe damals gleich alle Fächer unterrichtet - nur Musik nicht, das war die einzige Ausnahme“, erinnert sich Dintelmann.
1976 ließ er sich auf eigenen Wunsch an die Holderbergschule versetzen. Seine Pädagogik beschreibt er wie folgt: „Mich interessierte die Arbeit mit jungen Leuten und Kindern, ich wollte erreichen, dass sie eine Erziehung genießen, die ihnen Selbstbewusstsein, Verantwortlichkeit und Rückgrat für das Leben gibt“. Außerdem seien für ihn die Vermittlung von christlichen Werten und sozialem Miteinander wichtig gewesen. „Kinder und Jugendliche sollten lernen, anderen zu helfen“, formuliert Dintelmann eine seiner Überzeugungen, für die er in den Jahren seines Schaffens an der Schule immer wieder energisch eintrat. Ebenso wichtig war es ihm, dass Schüler befähigt werden, sich in die Gesellschaft einzumischen, oder wie er mit dem Zitat von Namensvetter Willi Brandt ausdrückte: Die Schüler sollen den ‚Mut haben, Demokratie zu wagen’.
Neben diesen sozialen Kompetenzen war auch das Vermitteln von Wissen und Können ein Ziel, damit die Schüler im Beruf bestehen können. „Es ging und geht mir immer um den Menschen, dass man ihm Chancen eröffnet“. In Oberscheld brachte der junge Lehrer Dintelmannn dies mit der Einführung des ersten Betriebspraktikums zum Ausdruck. Und auch in Sachen Schülervertretung war er aktiv.
Doch nicht nur als Pädagoge hat Wilhelm Dintelmann gewirkt: Ab November 1978 wechselte er ans Studienseminar nach Dillenburg, wo er Referendare in den Fächern Religion und Sozialkunde ausbildete. 1980/81 war er kaum noch an der Schule, da er im Bezirkspersonalrat beim RP-Gießen aktiv war. Von 1987 bis 1989 wurde er ans Staatliche Schulamt – das sich damals noch in Wetzlar befand - berufen. Damit war Dintelmann zuständig für den Bereich nördlich ab Dillenburg – unter anderem auch für die Holderbergschule.
„Als Ausbilder war es mir wichtig, dass ich die Referendare in dem Prozess begleite, in dem sie ihre Lehrerpersönlichkeit herausbilden und qualifiziert werden für guten Unterricht“, fasst er sein Anliegen zusammen.
Und was versteht der Schulleiter unter „gutem Unterricht“? Die Antwort kommt prompt: „Unterricht, der Struktur hat, der zu Lernergebnissen führt, der bei dem Schüler ansetzt und ihn in den Lernprozess mit hinein nimmt“.
Als Ausbilder sei es ihm wichtig gewesen, dass ein Lehrer, dessen Aufgabe es sei, Schüler zu mündigen Menschen zu erziehen, auch selbst mündig sei und dass er Rückgrat habe, seine Meinung im Kollegium und Gesellschaft zu vertreten.
In den Jahren seiner Tätigkeit habe sich der Lehrberuf verändert - doch eines sei immer gleich geblieben: „ Die Beziehung zu den Schülern ist wichtig. Ich muss den Mensch als Persönlichkeit ernst nehmen“, so die Einstellung des Schulleiters. Der Lehrer sei heute Berater und zunehmend auch Sozialarbeiter.
Seit 1989/90 war Dintelmann acht Jahre pädagogischer Leiter an der Holderbergschule, bevor er ab August 1997 den Posten des Schulleiters übernahm. In der mehr als eine Dekade umfassenden Amtsperiode hat er eine Erkenntnis gewonnen: Ein traditionelles Lernverständnis reiche heute nicht mehr aus. „Schule muss sich für die Entwicklungen der Gesellschaft öffnen“. Dies sei zum einen mit der Nachmittagsbetreuung und dem Bau der Mensa geschehen. Aber auch der bilinguale Unterricht (Erdkunde und Politik und Wirtschaft in englischer Sprache) sowie der Ausbau von weiteren Lernangeboten beispielsweise im Wahlpflichtunterricht seien heute für die globalisierte Welt wichtig. „Wir sind im Bereich Hauptschule eine der ersten Schulen gewesen, die einen Produktionstag einführten, um die Schüler mittels der Erfahrungen in der Arbeitswelt für das Lernen zu motivieren“
Auch die mediale Überfrachtung sieht Dintelmann kritisch, wenngleich man mit der Vernetzung der Klassenräume und der Einführung von zehn Whiteboards die medialen Angebote erweitere. Als Gegenpole dieses Medienkonsums setze die Schule auf die schöpferisch-kreativen Angebote im Kunst und Musikbereich.
In den letzten Jahren wurden die Musik- und Bläserklasse eingeführt, es gibt die Brassband, Schulband und eine Kunst-AG. „ Sie alle leisten einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung“. Hinter diesen Lernangeboten steckt eine Vision: „Wir möchten eine gute Schule sein als Bildungsort, Lern- und Lebensort für alle Jugendlichen aus den beiden Kommunen“.
Schule sei Teil der Gemeinde und müsse diesen Teil auch miterfahrbar machen, so die Überzeugung des Ewersbachers. „Wir sind nicht nur Lerninstitution, sondern Lebensinstitution für beide Gemeinden Eschenburg und Dietzhölztal“, bekräftigte Dintelmann und betonte die enge Zusammenarbeit mit beiden Kommunen.
Auch mit der Kirche Eibelshausen verbinde die Schule eine gute Zusammenarbeit, wie die Schulgottesdienste zeigten. Die Öffnung der Schule nach außen geschehe durch diverse Projekte: Musikalische Abende, Weihnachtskonzert, den Besuchen im tschechischen Petschau und in Kooperation mit der Gemeinde Dietzhölztal die Partnerschaft mit Japan sowie dem Betriebspraktikum in England.
Bei der Frage nach den erreichten Zielen überlegt Wilhelm Dintelmann einige Sekunden. Die Anerkennung der Schule in der Elternschaft und Kommune freuen ihn. „Mit dem Bildungsangebot und den erreichten Lernerfolgen kann sich die Schule sehen lassen“, so der Schulleiter zufrieden. Zum zweiten gebe es im Kollegium viele, die die Gestaltung der Schule mit in die Hand genommen hätten. Bei der kürzlich erfolgten Schulinspektion sei von einem gelebten Schulprogramm und wertschätzendem Umgang zwischen Schülern und Lehrern die Rede gewesen.
Zu den schönsten Eindrücken aus seinem Lehrerdasein gehörte der Besuch eines Elternteils, der sich dafür bedankte, dass das Kind an der Holderbergschule gut aufgehoben gewesen sei. „Es ist selten, dass der Dank so gesagt wird“. Außerdem sei es für ihn eine große Freude gewesen, den Erweiterungsbau mit vier Klassenräumen vor einigen Jahren einzuweihen. „Niemand glaubte, dass ich das hinkriegen würde“, schmunzelt er. Das hartnäckige Verhandlungsgeschick trug Früchte: Zu je einem Drittel hatten die Kommunen Eschenburg und Dietzhölztal sowie der Kreis die Kosten übernommen. Nicht umsonst lautete sein Motto als Schulleiter „Schatzsuche statt Defizitfahndung“. Zu den guten Erinnerungen gehören auch die Besuche in Petschau mit der Brassband und die Fortbildungen mit dem Fachbereich Religion, insbesondere die Reise nach Israel.
Auch schwere Erfahrungen gehörten zum Alltag. „Das ist der Fall, wenn man als Pädagoge nicht mehr weiterkommt und die AGGAS einschalten muss“. Schwierig sei es auch gewesen, wenn er als Schulleiter gegen sein Credo, aber zum Wohl der Schule handeln musste, so beispielsweise, als die Förderstufe abgeschafft wurde.
Gibt es etwas, was der Schulleiter noch gerne erreicht hätte?. „Ja, eine eigene Aula, denn sie wäre als Kommunikationsbereich für das Zusammenleben und Miteinander wichtig“. Sorgen machen ihm die Entwicklungen der Hauptschule, weil er die Belastungssituation einzelner Kollegen sehe. Diese Arbeit werde leider weder von politischer Seite noch von der Wirtschaft wirklich anerkannt, bedauerte er. Pläne für den Ruhestand hat der Schulleiter noch nicht konkretisiert. Im Gespräch sei , dass er kochen lernen und im Garten aktiv sein solle. „Ein Plan ist, dass ich mal die Uhr ablege“. Den Förderverein wolle er unterstützen und auch im sozial-kulturellen Bereich könnte er sich ein Engagement vorstellen. „Doch geplant ist noch nix“.
Schulleiter der Holderbergschule geht am 1. Juli in den Ruhestand
Es ist 8.45 Uhr, der Gesprächstermin mit dem Schulleiter der Holderbergschule steht an. Ein dynamisch wirkender Wilhelm Dintelmann kommt aus seinem Büro heraus, der Händedruck für den Besucher ist energisch und fest. „Setzen sie sich doch schon mal, ich komme gleich“.
Kaum zwei Minuten später ist der Schulleiter ganz für den Besucher da: Kompetent, sachlich korrekt und immer freundlich und aufgeschlossen.
Ja, Wilhelm Dintelmann gehört zu den Urgesteinen der Schule, denn er ist seit 34 Jahren an der Lehreinrichtung tätig. Ab Freitag verlieren die „Holderberger“ nicht nur ihren Chef, der für alle Sorgen und Nöte laut Aussagen des Kollegiums immer ein offenes Ohr hatte, sondern auch einen sympathischen Kollegen, der im besten biblischen Sinn „den Schülern und der Schule Bestes suchte“.