DDR-Zeitzeuge Albrecht Kaul informierte über Stasi, das Gefühl des Eingesperrtseins und die Montagsdemos

|   Schuljahr 10/11

„Wenn ihr einen Halt im Leben sucht, dann trägt euch Gottes Hand“

„Es ist gut, dass es die DDR nicht mehr gibt“. Ganz ohne Polemik und Nostalgie formulierte Albrecht Kaul diese These, die er am Dienstag bei insgesamt vier Vorträgen im evangelischen Gemeindehaus vertrat. Die DDR habe die Menschen bevormundet, keine Freiheiten erlaubt und eine Ideologie vertreten, die alles gleich machen wollte. Der 1944 in Sachsen geborene Referent wuchs in der DDR auf. Im Rahmen der Veranstaltung „Wunderjahr 1989“ hatte der CVJM Eibelshausen die Initiative für Jugendarbeit aus Essen „Wunderwerke e.V“. eingeladen, die Geschichtsunterricht hautnah erlebbar machte. Mit multimedialer Unterstützung, Film- und Tonmaterial sowie dem Interview mit Martin Scott und dem Zeitzeugen Albrecht Kaul wurden die Zuhörer – über 200 Holderbergschüler am Vormittag sowie die Besucher bei der Abendveranstaltung - 20 Jahre nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands über die Entstehung der DDR und ihrer Ideologie informiert.
Kaul erinnerte an das Ende des zweiten Weltkrieges und die Aufteilung Deutschlands unter den vier Siegermächten. Ihnen ging es darum, dass Deutschland kein zweites Mal die Chance haben sollte, wieder rasch an militärischer und politischer Macht zu gewinnen.
Aus der sowjetisch besetzten Ostzone entstand die DDR. „Im Osten herrschte der Kommunismus und Leninismus, alle sollten an die Herrschaft der Arbeiterklasse glauben“, fasste Kaul die Ideologie des DDR-Regimes zusammen.
Die antifaschistischen und pazifistischen Ideen der DDR wurden nach wenigen Jahren nur teilweise erfüllt: Mit der Bewaffnung im Osten durch die Volksarmee war der pazifistische Anspruch der Idee gestorben.
Sehr persönlich waren die Berichte des Referenten über seine Biografie: Mit 14 Jahren wurde Albrecht Kaul Christ. „In der DDR hatten es Christen schwer. Wer sagte, dass er an Gott glaubt, der war Staatsfeind“, erklärte Kaul.
Zwar habe es Kirchen und Pfarrer gegeben, aber Evangelisationen oder die Gründung christlicher Vereine waren verboten. Nur innerhalb der Kirchen und Gemeinderäume durften sich die Christen frei bewegen. Der Staat erlaubte dort dreierlei: „Singen, beten und Bibel lesen“, fasste Kaul zusammen.
Auch das 1951 gegründete Ministerium für Staatssicherheit, kurz Stasi gebannt, wurde erwähnt. „ Ich weiß, dass die Stasi meine Familie im Visier hatte. Aber wir sind nie verhaftet worden“, ist Kaul dankbar.
Erst 1993 beantragte er Einsicht in „seine“ Stasi Akte. 220 Seiten umfasst das Werk, in dem nicht nur über Kaul selbst, sondern auch über seine vier Kinder und seine Frau genaue Protokolle vorhanden sind. Rund drei Millionen Menschen seien in der DDR von der Behörde beobachtet und ausspioniert worden- zum Teil von Familienmitgliedern, Freunden oder Nachbarn. „Ich habe aber nie mitbekommen, dass ich beobachtet wurde“, gab Kaul heute im Rückblick zu.
Der Referent erinnerte an die Westpakete, die all das enthielten, was man in der DDR nicht bekam: Nutella, Kakao, Kokosnuss und ähnliche Waren, die nicht zu den Grundnahrungsmitteln gehörten.
„Für uns waren diese Westpakete ein Zeichen, ja ein Signal: Da gibt es Menschen im Westen, die haben uns nicht vergessen“.
Mit persönlichen Einblicken ließ der Referent das „Wunderjahr 1989“ Revue passieren. Die Montagsgebete gab es seit 1979. Entstanden waren sie, weil die Menschen bei dem atomaren Wettrüsten der Großmächte Angst vor einem erneut Krieg hatten. Im Laufe des Jahres 1989 kam es in Polen und der Tschechei zu bedeutsamen Veränderungen, doch trotz Glasnost bewegte sich in der DDR damals noch nicht viel, bilanzierte Kaul. Im August und September desselben Jahres war die berühmte Nikolaikirche in Leipzig so voll, dass die Menschen draußen stehen mussten. 70.000 Menschen gingen bei den Montagsdemonstrationen friedlich auf die Straße, um dem Staat und seiner Regierung zu zeigen, dass es so nicht weitergehe.
Die Gebete der Menschen, so ist Kaul überzeugt, seien der Grund dafür, dass es nicht zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen sei, wie im Juni 1989 in China. Mit dem Mauerfall im November sei etwas eingetreten, was man nie für möglich gehalten habe. Seine Überzeugung gab Albrecht Kaul den Zuhörern mit auf den Weg: „Wenn ihr einen Halt im Leben sucht, dann trägt euch Gott durch alle Schwierigkeiten, denn er hat die Macht.“

Wunderjahr 1989
Stand im Interview Rede und Antwort über das Leben in der DDR: Zeitzeuge Albrecht Kaul (links) wurde von Martin Scott von „Wundewerke e.V.“ über die DDR-Ideologie, Stasi und Montagsdemos befragt.